Chronik des Schöneberger-Südgelände

Schöneberger-Südgelände

© Kleingartenkolonie Grüne Aue e.V.

Chronik des Schöneberger Südgelände mit seinen Kleingärten:

Ein typisches Nebenprodukt der Verstädterung war die Entstehung von Kleingärten. Vor 100 Jahren waren sie überall dort angesiedelt, wo landwirtschaftlich genutztes Ackerland „außer Cultur gesetzt“, aber noch nicht sofort bebaut wurde. Die Sorge um die Verbesserung der Ernährungslage der eigenen Familie war für die Bewirtschaftung eines solchen Stück Grabelandes ausschlaggebend. Aber auch die Sehnsucht nach einem eigenen „Stück Natur“ mag vor allem bei den Städtern der ersten Generation lebendig gewesen sein. Es waren wilde Laubenkolonien, die sich so am Stadtrand bildeten. Das Land wurde zum Kartoffel- und Gemüseanbau genutzt, die Laube war aus alten Brettern zusammengenagelt. Es lohnte sich nicht, Sträucher oder gar Bäume anzupflanzen, da die Räumung jederzeit über Nacht erfolgen konnte. Ähnlich beginnt auch die Geschichte der Kleingartenkolonien im Südgelände um die Jahrhundertwende. In der Hungersnot des Ersten Weltkrieges, unter der die Menschen in der Großstadt am schlimmsten zu leiden hatten, sicherte das selbst bestellte Gartenland vielen das Überleben. „Verteidigung des Vaterlandes durch Spaten und Hacke“ – nannte sich das im patriotischen Sprachgebrauch der Zeit. Die Bedeutung der Selbstversorgung in Notzeiten hat auch im Südgelände die Stellung der Kleingartenbewegung in der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs nach dem Ersten Weltkrieg erheblich gestärkt.

In diese Zeit fällt die Gründung des heute noch tätigen Bezirksverbandes der Kleingärtner Schöneberg-Friedenau e.V.

Auf der Grundlage des Reichsheimstättengesetzes von 1920 wurde in einem neuen Bebauungsplan für das Südgelände 34,4 ha Land für Dauerkleingärten und 87 ha als Park- und Freifläche ausgewiesen.

Schöneberger Südgelände um 1926

Schöneberger Südgelände um 1926

Dieser Plan scheiterte jedoch an dem Widerstand des Grundbesitzerkartells der alten Schöneberger Bauernfamilien, die sich weigerten, ihre Felder an die Stadt zu verkaufen. 1926 wurde unter dem Eindruck des Angebots eines amerikanischen Bankkonsortiums, auf dem Südgelände eine Wohnsiedlung mit 15000 Wohnungen zu errichten, ein neuer Bebauungsplan- der vierte in der Geschichte des Südgeländes – aufgestellt. Die Kleingärtner setzten sich gegen diese Pläne hauptsächlich mit dem Argument zur Wehr, dass es unsozial sei, den Arbeitern und Angestellten der Mietskasernenviertel ihre Gärten wegzunehmen, um an ihrer Stelle Luxuswohnungen für das wohlhabende Bürgertum zu errichten. Aber auch auf die unverzichtbare ökologische und klimatische Bedeutung des Kleingartengeländes als grüne Lunge der Stadt wurde bereits hingewiesen. Das einzige positive Ergebnis dieses ansonsten gescheiterten Bebauungsplans war, dass die Stadt gegen eine Entschädigungssumme von 100.000 M in den Besitz des Südgeländes gelangte. In dieser Zeit galten die Schöneberger Kleingartenverhältnisse als vorbildlich für ganz Berlin. Während anderswo die Städte ihr Gelände den gemeinnützigen Organisationen in Generalpacht überließen, verpachtete das Bezirksamt Schöneberg, vertreten durch das Kleingartenamt, unter Mitwirkung der Kleingartenvereine die Parzellen direkt an die einzelnen Bewerber.

 

Durch demokratisches Mitbestimmungsrecht der Interessenvertreter der Kleingärtner sollte verhindert werden, dass sich bei der Vergabe der begehrten Kleingartenparzellen Vetternwirtschaft und Preiswucher breit machten. Außerdem wurden die Prinzipien der Selbsthilfe und Selbstverwaltung durch die Einrichtung eines Ortfonds gestützt, aus dem Gemeinschaftseinrichtungen der Laubenkolonien und Darlehensmöglichkeiten für in Not geratene Pächter finanziert wurden. Sachverständige Unterstützung erhielten die Kleingärtner des Südgeländes durch das bezirkliche Kleingartenamt unter seinem Leiter, dem Stadtrat Doerwaldt, auch dadurch, dass in eigens dafür eingerichteten Lehrgärten kostenlose Lehrgänge zu Fragen des Gartenbaus und der „Schädlingsbekämpfung“ durchgeführt wurden.

Auch auf dem Schöneberger Südgelände bedeutet die Zerschlagung der Arbeiterbewegung und Arbeiterkultur durch den Nationalsozialismus das Ende einer Epoche. In großangelegten Polizeirazzien wurde bereits im Frühjahr 1933 das gesamte Laubengelände durchkämmt. Die Suche galt vor allem den Aktivisten des Widerstands von der Roten Insel, die in den Lauben illegale Flugblätter und Aufkleber hergestellt hatten und sich auf dem Gelände versteckt hielten, um nicht einem Rachefeldzug der SA zum Opfer zu fallen. Danach folgten verschiedene politische Säuberungswellen. Lakonisch heißt es dazu im Verwaltungsbericht von 1936:

„Die politisch unzuverlässigen Elemente wurden aus den Kleingärten entfernt. „

Zwischen 1935 und 1938 wurde dem Kleingartenwesen auf dem Südgelände dann durch Räumung ein vorläufiges Ende gesetzt. Auf dem Gelände war der Bau eines zentralen Güterbahnhofes vorgesehen sowie eines Großberliner Zentral- und Postbahnhofs. Als Entschädigungssumme zahlte die Reichsbahn 25 Millionen Mark an die Kleingärtner und den Magistrat. Tausende von Obstbäumen, Sträuchern und Lauben wurden vernichtet, zerhackt, verbrannt. Das gesamte Gelände bot ein Bild schlimmster Verwüstung. Mit der materiellen Zerstörung der Laubenkolonie war auch ein Stück Arbeiterkultur für immer verlorengegangen. Durch den Zweiten Weltkrieg wurde diese Bebauung im Zuge der Speerschen Stadtplanung ein zweites Mal verhindert. Auf dem geräumten Südgelände wucherte ein Wald von Brennnessel und Goldrute. Durch die Organisation Todt (paramilitärische Baugruppe) und dem Einsatz von Zwangsarbeitern wurden Flakstellung mit Unterkünften für das Bedienungspersonal ausgebaut. Schließlich wurde das Gelände dann während des Krieges in den vierziger Jahren durch den weiteren Ausbau von Betonbunker, Baracken, Panzerhindernisse und Splitterschützengräben zerstört.
Am Rande dieser militärischen Anlagen bauten trotzdem vereinzelte Kleingärtner weiterhin Kohl und Kartoffeln an. Das von Bombentrichtern, Splittergräben, Schutt und Trümmern übersäte Gelände wurde nach 1945 wieder in Kleingartenkolonien umgewandelt. In der Ernährungskrise der Nachkriegsjahre erhielten die Gärten für viele Familien auch wieder eine wichtige wirtschaftliche Funktion.

1953 protestierten Tausende von Kleingärtnern im Sportpalast gegen die neuen Bebauungspläne des Senats auf dem Südgelände, die befürchten ließen, dass ihre mühevolle Aufbauarbeit ein zweites Mal vernichtet würde.

In den 60er Jahren wurde dann ein großes Areal im Norden dem Bau der Autobahn und des Schöneberger Kleeblatts geopfert.

Wieder wurden Hunderte von Schrebergartenparzellen geräumt, die – wie es ein Senator damals sagte:

„dem wirtschaftlichen Aufschwung in der Stadt“ im Wege stünden.

Die bewegte Geschichte des Schöneberger Südgeländes in diesem Jahrhundert ist durch den mehrfachen Wechsel von Planungsvorstellungen gekennzeichnet. Als stabil erwies sich jedoch die kleingärtnerische Nutzung. Nach dem alten Flächennutzungsplan war das Südgelände bis auf einen Streifen am Riemenschneiderweg zu 3/4 der Fläche als Bahnanlage ausgewiesen.

Der neue Flächennutzungsplan von Berlin stellt den gesamten Bereich westlich der Anhalter Bahn d. h. das bestehende Kleingartengebiet und das ehemalige Bahngelände, als Grünfläche – überwiegend mit der Zweckbestimmung „Kleingarten“ dar. Nach Jahrzehnten der Unsicherheit über den Fortbestand der Kleingärten auf dem Schöneberger Südgelände besteht nun die Möglichkeit, diese als Dauerkleingärten im Sinne des Bundeskleingartengesetzes planungsrechtlich zu sichern. Entsprechend den Anforderungen des Bundeskleingartengesetzes muss das Südgelände gleichzeitig für die Allgemeinheit geöffnet und zu einem attraktiven Naherholungsgebiet für alle Schönebergerinnen und Schöneberger umgestaltet werden.

Kleingartenkolonie Grüne Aue e.V.

Kleingartenkolonie Grüne Aue e.V.